
Disruptionen Zukunftsfähigkeit Resilienz
Fit für das neue Normal
Nach der Krise ist vor der Krise: Wie können Unternehmen auf die drastischen Veränderungen unserer Zeit reagieren, um die Zukunft in ihrem Sinne zu gestalten?
Wie wird das „New Normal“ aussehen, wenn wir das Coronavirus überwunden oder gelernt haben, mit ihm zu leben? Es gibt Experten wie den niederländischen Klimaforscher Prof. Marten Scheffer, die bereits warnen, dass all die Covid-19-bedingten Veränderungen nichts sein werden im Vergleich zu den Folgen eines ungebremsten Klimawandels. Anders als bei der Pandemie könne man bei einem Klimadrama allerdings nicht auf eine Erleichterung in absehbarer Zeit hoffen.
Der Klimawandel ist keineswegs die einzige große Herausforderung des 21. Jahrhunderts, die eine Transformation von Politik, Wirtschaft und unseres täglichen Lebens erfordert. Viele Industrieländer, aber auch die Volksrepublik China haben zusätzlich mit dem demografischen Wandel zu kämpfen, der Überalterung der Gesellschaft und einem wachsenden Fachkräftemangel. Es wird eine Herkulesaufgabe, den Wohlstand und die Wettbewerbsfähigkeit in den kommenden Dekaden zu erhalten, wenn ein „Weiter so“ nicht mehr im Einklang mit den Menschen, den Sozialsystemen und dem Planeten steht.

Die Gemengelage wird zusätzlich kompliziert durch eine Anzahl aufeinanderfolgender Zäsuren, die in den vergangenen 20 Jahren immer wieder neue Verhältnisse geschaffen haben. Die Pandemie dürfte dabei das einschneidendste Ereignis sein, aber auch der Brexit, die Trump-Ära, die Finanzkrise oder der 11. September 2001 sorgten für schwere Brüche in der uns bekannten Welt. Für die Zukunft ist nicht zu erwarten, dass die Zahl der von Nicholas Taleb beschriebenen Schwarzen Schwäne abnimmt. Je vernetzter die Welt geworden ist, desto angreifbarer werden die einzelnen Systeme. Die Energie-Infrastruktur, das weltweite Datennetz und auch die Lieferketten zählen dazu. Zusätzlich haben sich gleich mehrere Trends als Reaktion auf die Coronakrise deutlich verstärkt: die Digitalisierung und Automatisierung, die Nachhaltigkeit, aber auch das Niedrigzinsumfeld.
Mit der Pandemie hat der Veränderungs- und Innovationsdruck deutlich zugenommen, und das Tempo ist atemberaubend: Für Aufsehen sorgte 2017 eine Umfrage unter Führungskräften, der zufolge 40 Prozent der Fortune Global 500-Unternehmen das Jahr 2027 nicht erleben werden. Ein ähnlicher Trend lässt sich auch am amerikanischen S&P 500-Index ablesen. So nimmt die Dauer der Zugehörigkeit zum Index immer weiter ab und dürfte sich bis 2027 halbiert haben. Der hauptsächlich technologiegetriebene Wandel wird auch Folgen für den Arbeitsmarkt haben. „65 Prozent unserer Kinder werden 2035 in Berufen arbeiten, die es heute in dieser Form noch gar nicht gibt“, sagt etwa Marcus K. Reif, HR-Experte bei der Unternehmensberatung Kienbaum.
Angesichts dieser Entwicklungen auf Trends wie Solarenergie, Windkraft, Elektromobilität, künstliche Intelligenz, Logistik oder Infrastruktur zu setzen bedarf allerdings immer der genauen Analyse. In der Vergangenheit haben Branchen, die politisch besonders im Fokus standen und stark mit Subventionen oder Krediten gefördert wurden, mitunter ein zu schnelles Wachstum hingelegt, was zu Enttäuschungen führte. Hinzu kommen weitere Faktoren, die über Erfolg und Misserfolg entscheiden, wie etwa der Weltmarkt, Preisentwicklungen, neue gesetzliche und fiskalische Vorgaben oder die Verfügbarkeit von qualifizierten Arbeitskräften. Markttiming ist ein weiterer Faktor: Was ist zum Beispiel mit Pharmaunternehmen, die derzeit mit hohen Investitionen Impfstoffe entwickeln und zu spät mit ihren Produkten auf den Markt kommen?
Wenn Sie tiefer in die Materie eintauchen wollen, können Sie unter folgenden Links weiterlesen:
Sinnvoll ist auf jeden Fall mehr Risikomanagement. Ein Denken und Kalkulieren mit Szenarien etwa, um die Risiken und Potenziale von Brüchen und disruptiven Technologien zu erkennen. Das Problem: Mit jeder weiteren Disruption werden bisherige Annahmen zur Makulatur. Das Risiko des Scheiterns ist hoch. Wie können Unternehmer mit dieser Unsicherheit umgehen?
Resilienz – ja, bitte! Nur wie?
Wichtig ist, dass Unternehmen von ihrer Kultur und Organisation her Rückschläge besser verarbeiten können. Dafür gibt es einen Begriff, der seit einigen Jahren immer öfter fällt: Resilienz. Dr. Myriam Dunn Cavelty, Leiterin der Forschungsgruppe Neue Risiken am Center for Security Studies der ETH Zürich, nennt den Grund: „Angesichts der Vielfalt, Komplexität und der Unberechenbarkeit aktueller Risiken ist es schier unmöglich, absolute Sicherheit zu gewährleisten. Krisen und Katastrophen können selbst mithilfe der bestmöglichen Risikomanagementmaßnahmen nicht verhindert werden.“ Das Augenmerk der Risikovorsorge gelte daher zunehmend einer möglichst hohen Krisenfestigkeit und nicht mehr nur dem Aspekt, wie solche Ereignisse vermieden werden können, so Cavelty. Was für die Politik und die staatliche Krisenfähigkeit gilt, gilt spätestens seit der Finanzkrise und erst recht nach Corona auch für Unternehmen.
„Es ist kein Zufall, dass auch der Gegenbegriff der ‚Resilienz‘ gerade Konjunktur hat – die ‚Disruption‘. Im Begriff der ‚Resilienz‘ verdichtet sich die Hoffnung auf Beständigkeit gegenüber der Macht der Disruption“, schreibt der Journalist und Sprachwissenschaftler Wolfgang Krischke. Resilienz zeigt sich in einer schnellen Reaktionsfähigkeit und Flexibilität von Unternehmen. Allerdings ist es schwer, diese Eigenschaft als Faktor oder Messgröße zu quantifizieren.
„Im Begriff der ‚Resilienz‘ verdichtet sich die Hoffnung auf Beständigkeit gegenüber der Macht der Disruption.“

Resilienz ist kein stabiles Merkmal, kein bestimmter Punkt, den man erreichen kann, sondern viel eher eine Fähigkeit, die Unternehmen an vielen Stellen kultivieren und weiterentwickeln können. Die Corona-Pandemie erzeugte zahlreiche Beispiele von Unternehmen, die ihre Geschäftsmodelle den veränderten Gegebenheiten anpassten und sich manchmal sogar regelrecht neu erfanden. Tesla, Ford und General Motors stellten zeitweise die Produktion von Motoren auf Atemschutzgeräte um. Andere Unternehmen holten während der Pandemie kurzfristig die Produktion zurück in den Heimatmarkt oder diversifizierten ihre Lieferketten.
Das Gros der Gewinner der Coronakrise war allerdings wohl weniger wegen ihrer Resilienz erfolgreich, sondern weil ihre angebotenen Waren und Dienstleistungen die krisenbedingte Nachfrage erfüllen konnten. Wie nachhaltig wird der Erfolg von Firmen wie Tesla, Biontech, Delivery Hero oder Airbnb in Zukunft sein? Im besten Fall werden sie im New Normal zeigen können, wie resilient sie sind.